Groß, größer, Steingut-Quartier. Wie sich Planer die Entwicklung des Grohner Geländes vorstellen – und was Anwohner fordern
Es gibt immer wieder mal Bauvorhaben in Bremen, die so groß sind, dass Investoren und Behörden zu Vertragspartnern werden, um sie zu entwickeln. Das Projekt, aus dem Firmengrundstück der Norddeutschen Steingut AG ein Quartier mit Wohnungen und Gewerbe zu machen, ist das erste im Norden, bei dem es dieses Bündnis gibt. Und eines, bei dem der Planungsstart anders verläuft als üblich: Noch bevor es um Entwürfe von Architekten geht, haben Anwohner gesagt, was sie wollen und was nicht – als Grundlage für einen Masterplan, der jetzt für die Zehn-Hektar-Fläche erarbeitet wird.
Die Bedeutung
Dass das Projekt anders ist als andere Vorhaben, macht das Aufgebot an Behördenvertretern deutlich, die an diesem Donnerstagabend beim Auftaktforum zum Steingut-Quartier dabei sind: Die Baustaatsrätin ist bei der Onlinekonferenz ebenso zugeschaltet wie die Senatsbaudirektorin, ein Referatsleiter des Bauamts genauso wie ein Abteilungsleiter der Wirtschaftsbehörde. Die Zahl der Büros, die den Masterplan entwickeln sollen, ist ähnlich groß: Es sind drei. Thorsten Nagel und Olaf Mosel haben sie beauftragt. Die beiden Projektentwickler sagen, froh über so viel Untersützung zu sein. Zusammen bilden sie die Steingut Projekt GmbH & Co. KG. Sie hat das Gelände gekauft.
Das Ziel
Auf dem Grohner Grundstück soll etwas entstehen, was es republikweit noch nicht häufig gibt: Die beauftragten Planer sprechen von einem Ort der produktiven Stadt. Und davon, dass Wohnen und Arbeiten eine Symbiose eingehen sollen, die neuartig ist. Weil es deshalb nur wenige Vorbilder gibt, können sie auch nur eine Handvoll Beispiele zeigen, wie diese Verschmelzung aussehen kann. Auf Illustrationen sind Gebäude zu sehen, in denen unten Betriebe und oben Wohnungen sind. Auf anderen ist es umgekehrt. Von einer Stadt in der Stadt ist die Rede, aber nicht von einer abgeschotteten. Das Gelände soll sich zu allen Seiten hin öffnen, aber vor allem das Vegesacker Zentrum und die Jacobs University verbinden.
Der Entwicklungsstand
Seit Wochen sind die Planer dabei, das Grundstück zu analysieren. Sie sagen, dass Wohnen und Gewerbe halbe-halbe machen könnten – und dass sie zum Gewerbe auch Supermärkte und Restaurants zählen. Wie viele Wohn- und Geschäftseinheiten geschaffen werden sollen, ist offen. Fest steht, dass ein Großteil der Steingut-Hallen für sie Platz machen muss. Nagel und Mosel sagen, dass sie so viele Klinkerbauten wie möglich erhalten wollen, eventuell auch einen Schornstein. Er könnte zur Kletterwand werden. Ihnen zufolge steht kein Gebäude unter Denkmalschutz. Um das Gelände zu öffnen, sollen weitere Zugänge geschaffen werden. Auch eine Brücke über die Bahngleise wird diskutiert.
Die Probleme
Die Planer sagen, dass es mehrere Herausforderungen für die Entwicklung des Steingut-Grundstücks gibt. Ein Knackpunkt ist das Gelände selbst: Mal liegt es höher, mal niedriger als die umliegenden Grundstücke. Der Versatz beträgt an manchen Stellen mehrere Meter, was aus Sicht der Projektentwickler eine Anbindung nicht leichter macht. Eine andere Schwierigkeit hat mit der Lage des Grundstücks zu tun. Die Gleise und die A270 verlaufen so nah, dass die Grafiken, die die Lärmimmisson anschaulich machen, mal orange, mal dunkelrot sind. Die Planer meinen, dass darauf reagiert werden muss, genauso wie auf die Altlasten, die zwar nicht im Boden, aber in manchen Gebäuden stecken.
Die Potenziale
Nach Ansicht der Planungsbüros gibt es nur wenige Gebiete, die so verkehrsgünstig liegen wie das Grundstück der Steingut AG. Ihnen zufolge ist die City in 20 Minuten zu erreichen und die Vegesacker Fußgänger in weniger als zehn. Der Schönebecker Bahnhof ist zwar nah, könnte ihrer Meinung nach aber auch verlegt werden, um noch näher zu sein. Als weiteres Plus werden der Baumbestand und die Grünflächen drumherum bewertet. Die Planer finden, dass beide nicht nur zu erhalten sind, sondern erweitert werden könnten. Auch die Nachbarschaft zur Schönebecker Aue und zur Weser bietet ihrer Meinung nach Potenzial. Genauso wie die zur Jacobs University.
Die Vorschläge
Anwohner und Stadtteilpolitiker – fast 50 sind es, die beim Auftaktforum mit Planern und Investoren diskutieren – wollen vor allem eines: eine Durchmischung. Die erwarten sie sowohl bei den Bewohnern als auch bei den Gebäudetypen. Nagel und Mosel sagen, dass sie ein Quartier für alle planen, aber nicht mit allen Immobilienarten. Das Einfamilienhaus soll es ebenso wenig geben wie ein Hochhaus. Anlieger und Beiratsvertreter finden gut, dass die beiden Investoren energieeffizient bauen wollen. Noch besser würden es manche aber finden, wenn sie vor allem auf Holz als Baustoff und auf weniger Auto- und mehr Fahrradstraßen setzten. Und wenn sie schon an eine neue Kita und eine neue Schule denken, dann bitte auch an eine Begegnungsstätte.
Das Verfahren
Die Vorschläge von Anrainern und Politikern sollen jetzt in den Masterplan eingearbeitet werden. Im Juli wollen alle noch einmal zusammenkommen. Dann wird es um die finale Fassung gehen. Der Masterplan bildet quasi die Basis für einen städtebaulichen Wettbewerb, der noch in diesem Jahr beginnen und im nächsten enden soll. Fünf bis sechs Architektenbüros sollen sich an ihm beteiligen. Der Siegerentwurf soll schließlich ins Bebauungsplanverfahren einfließen. Nagel und Mosel wollen Anfang 2023 so weit sein, dass die Arbeiten auf dem Steingut-Gelände beginnen können.
Der Artikel wurde von CHRISTIAN WETH im Weser Kurier vom 29.05.2021 geschrieben.