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Mustafa Jatal

Bremen-Vegesack
Flucht aus dem Heimatland

Moin Mustafa,

du bist seit 2017 bei M Projekt als Bauleiter eingestellt.  Was sind deine Aufgaben und was daran macht dir besonders große Freude?

Mustafa:
Das Projekt auf der Baustelle zu führen. Ich bin von der Gründung über die Bauüberwachung bis zur Übergabe nach der Fertigstellung mittendrin. 
Mich hat es schon als Kind fasziniert, was man Großartiges auf einem Grundstück verwirklichen kann. Mein Onkel war ein erfolgreicher Architekt und hat große Quartiere entwickelt. Dort habe ich schon die ersten Erfahrungen gesammelt und als Schüler Bauleitung von Einfamilienhäusern mitgemacht. Ich war begeistert, wie viel Kommunikation auf einer Baustelle stattfindet und vor allem, wie viele verschiedene Menschen dort arbeiten. Alles geht Hand in Hand. Ich komme aus einem Akademiker-Haushalt und habe in einer „Blase“ gelebt. Die Baustelle war das perfekte Kontrastprogramm dazu. Mein Vater ist Arzt und wollte eigentlich, dass ich Medizin studiere. Ich habe mich am Ende aber für das Bauingenieurswesen entschieden. Währen des Krieges hat es mich emotional geprägt, die Zerstörung von Städten zu erleben. Diese Erlebnisse haben bei mir eine noch größe Wertschätzung für die Architektur hinterlassen.

Dijana:
Ihr seid vor fast sieben Jahren aus Syrien geflüchtet und Bremen war nicht eure erste Station. Ich kann mir vorstellen, dass es für viele sehr interessant ist, aus erster Hand zu erfahren, wie sich eine solche Flucht gestaltet. Die Entscheidung, seine Heimat zu verlassen, ist sicher nicht so einfach. Vor allem, wenn man in eine ungewisse Zukunft geht.
Magst du ein wenig darüber erzählen?

Mustafa:
Unsere erste Station war Erfurt. Mein Onkel hat schon vor Kriegsbeginn dort gelebt und studiert. Er hat einfach für unsere ganze Familie Anträge auf Kontingentflüchtlinge gestellt und es hat funktioniert. So sind wir ziemlich privilegiert geflüchtet. Wir hatten wirklich Glück. Ich habe auch Bekannte, die die Balkanroute genommen haben. Wenn man in Syrien gegen das Regime war, konnte man nicht bleiben. Die Baubranche lag seit Kriegsbeginn auch still. Ich hätte nach dem Studium für 2 Jahre Wehrdienst leisten müssen – als Regierungskritiker keine so gute Idee. Jetzt bin ich sehr glücklich in Deutschland zu sein. Aber natürlich gibt es Momente, in denen ich meine Heimat vermisse.

Dijana:
Wie seid ihr denn in Deutschland aufgenommen worden?

Mustafa:
In Erfurt fand ich schnell gute Freunde. Aber wir haben leider auch Anfeindungen erlebt. Der Grund, weshalb wir umgezogen sind, war, dass ich den Job in Bremen gefunden habe. Und ich habe mich sofort in die Stadt verliebt!
Ich muss sagen, dass ich M Projekt sehr dankbar für diese Chance bin. Um ehrlich zu sein, wüsste ich nicht, ob ich als Chef so gehandelt hätte. Damals war das Unternehmen mit 12 Angestellten noch klein. Mein deutsch war noch nicht so gut. Ich weiß nicht, ob ich jemanden, der gebrochen deutsch spricht, meine Firma auf der Baustelle hätte repräsentieren lassen …
Meine Frau hat ihr Studium in Syrien abbrechen müssen und wollte hier weiter studieren. Trotz unseres Kindes hat sie angefangen Informatik zu studieren und mit 1,7 bestanden. Jetzt haben wir ein zweites Kind und sie ist in Elternzeit.
Insofern kann ich wohl sagen, dass wir uns jetzt auch wirklich angekommen und angenommen fühlen. Wir haben uns ein schönes Haus gekauft, und sind im wahrsten Sinne des Wortes Bremer geworden! Vor ein paar Wochen wurden wir nun eingebürgert. Das freut mich sehr.

Dijana:
Ich erinnere mich, dass wir neulich mal telefoniert haben und ich dich gar nicht erkannt habe, weil du mittlerweile fast akzentfrei sprichst. Das fand ich schon sehr beeindruckend. Wie sehr hat dir dein Job beim Erlernen der Sprache geholfen?

Mustafa:
In Syrien hatte ich bereits mit einem sogenannten A1-Kurs begonnen, aber das sind wirklich nur Basics wie Tisch und Stuhl. In Erfurt angekommen musste ich der Familie bei den ganzen Behördenangelegenheiten helfen, von da an ging es immer schneller mit der Sprache. Ich habe mich hier auch sehr schnell politisch engagiert und mich für syrische Flüchtlinge eingesetzt. Es kam mir sogar der Gedanke, in die Politik zu gehen, aber das lässt sich zeitlich mit dem Job und der Familie nicht machen. Bei der Bauleitung ist eine hohe Kommunikationsfähigkeit vorausgesetzt. Das hat mich stets motiviert, an meiner Sprachkenntniss und vor Allem an meiner Aussprache zu arbeiten. Ich schreibe viele Mails und versuche jedes Mal, meine Schreibkompetenz zu optimieren. Beim Sprachelernen ist leider immer Luft nach oben!

Dijana:
Was für Wünsche und Ziele hast du für die Zukunft?

Mustafa:
Am meisten wünsche ich mir ein friedliches Europa. Für alle, aber vor allem für meine Familie. Ich bin jetzt 30 Jahre alt und habe die wichtigsten sieben Jahre in Deutschland verbracht. Meine Kinder sollen nicht erleben, was ich mitmachen musste. So oft hat mich eine Kugel verfehlt – ich hatte wirklich Glück. Frieden und demokratische Werte sind ein hohes Gut.

Dijana:
Mustafa, vielen Dank für das interessante Interview!